Liebe Leute, ich habe mich neulich Hals über Kopf aus diesem Projekt abgemeldet, weil ich unter den gegebenen Umständen nicht weiter hier mitarbeiten will. Diese Umstände möchte ich aber nochmal erläutern.
Ich bin jetzt 5 Jahre beim ENC dabei und habe zahllose Karten digitalisiert, Tausende von Stunden am PC verbracht und hoffentlich ein bisschen zur Aufarbeitung der Verbrechen des Naziregimes beigetragen. Ich habe hier viele wunderbare Bekanntschaften geschlossen und mir oft vorgestellt, wie wir alle zusammen in einem großen Raum sitzen und uns gegenseitig bei der Arbeit unterstützen, uns Mut zusprechen, uns gemeinsam gruseln und auch gemeinsam lachen.
Es gab in dieser Zeit im Team der Freiwilligen viele Diskussionen, es gab technische Probleme mit der Software, aber eigentlich wurden diese Schwierigkeiten immer gelöst. Für uns waren mehrere Moderatoren von Arolsen zuständig, wir hatten Zoom-Sitzungen, um Neuigkeiten im System zu besprechen, es gab regen Austausch, und ich war sehr gern hier, auch wenn die Arbeit mit den Schicksalen der Menschen mich und andere manchmal an den Rand des Erträglichen gebracht hat.
Eine große Zäsur war die Abkehr von der alten Plattform auf Zooniverse und der Umzug auf die neue Projektseite. Es haben sich damals schon viele der langjährigen Volunteers über die Architektur der Plattform aufgeregt, und einige der ganz fleißigen haben sich recht schnell abgemeldet. Unter dem Gesichtspunkt PR und der Attraktivität auch für Jüngere war die Änderung des ENC-Auftritts vielleicht nachzuvollziehen – ob nötig, sei dahingestellt. Ich persönlich habe mich nach einer kurzen Pause hier angemeldet und trotz meines Unbehagens weitergemacht und war damit nicht allein, weil uns das Projekt wichtiger war als unsere Befindlichkeiten.
Doch nun bin ich an einem Punkt angekommen, an dem ich nicht mehr weitermachen will.
Erstens gibt es für mein Gefühl viel zu viele technische Probleme. Dazu habe ich mich ja schon oft geäußert, auch wenn ich wenig Ahnung von IT habe. Es macht einfach keinen Spaß, mit einem tool zu arbeiten, dass andauernd Schwierigkeiten macht, wahnsinnig umständlich konstruiert ist und evtl. auch die nötige Datensicherheit nicht gewährleistet. Warum soll ich Suppe mit einem Messer essen? Mir ist klar, dass Arolsens Ressourcen begrenzt sind, aber man kann trotzdem ein Werkzeug testen und optimieren, bevor man damit eine so sensible Arbeit wie die unsere angeht.
Zweitens – und das steht damit in direktem Zusammenhang – verstehe ich nicht, warum Arolsen nicht workflows mit uns freiwilligen „alten Hasen&Häsinnen“ anspricht und testet, bevor unzählige Neulinge damit konfrontiert werden. Deren Unsicherheit spiegelt sich in den letzten Fragenposts zur „Challenge“ wider. Ich glaube – und nennt mich gern eitel oder größenwahnsinnig – dass das ständige Volunteers-Team, das oft stundenlang recherchiert, Schicksale klärt und dann hier im Forum schreibt, zusammengenommen eine sehr große Kompetenz erworben hat, was die Dokumente angeht, die uns bereits vorgelegen haben. Wie Ihr lesen könnt, teilen wir diese Erfahrung gern, und es ist mir völlig unverständlich, warum Ihr nicht auf diesen wunderbaren Schatz an Enthusiasmus, Fähigkeiten und Wissen zurückgreift. Ich bin sicher, dass viele im Rahmen einer online-Sitzung gern helfen würden, diese Plattform zu optimieren.
Drittens verstehe ich die Zuständigkeiten für den ENC nicht bzw. finde den Moderations-Support mangelhaft. Wie routebleue schon oben schrieb, ist es absolut unfair, nur eine (!) Person für dieses riesige Vorhaben einzusetzen. Das geht nicht gegen die aktuelle Moderatorin, um das klarzustellen. Früher war mehr Arolsen! Wo sind all die Leute hin?
Viertens und schlussendlich finde ich diese „Challenges“ unpassend bis peinlich, um es gelinde auszudrücken. Ich habe in meinem Beruf auch viel mit Geschichte zu tun, wenn auch in viel längeren Zeiträumen. Für mich wäre, nein: ist es eine Herausforderung, Dokumente und Daten so exakt wie möglich aufzunehmen, auch wenn dadurch ihre Zahl wesentlich geringer ist. Masse statt Klasse, Quantität vor Qualität empfinde ich in diesem Fall als unangebracht und kontraproduktiv. Ich will all den fleißigen Helfer:innen nicht zu nahe treten, aber wie viele der Bearbeitungen der letzten „Challenge“ sind Eurer Meinung nach brauchbar? Wie viele Karten, an denen sich auch „die Alten“ teils die Zähne ausbeißen, sind so digitalisiert worden, dass Ihr sie verwerten könnt? Wer soll das alles in wieviel Hunderten von Jahren aufarbeiten?
Warum also entwerfen wir nicht alle zusammen eine Plattform, die leichter zu bedienen ist, einen optimalen Austausch ermöglicht und trotzdem dazu anregt, weiterzumachen, ohne alberne Herzchen und ein Belohnungssystem, das dem Ernst der Sache nicht angemessen ist? Als Segler und Sportler bin ich es gewohnt, auch Schwierigkeiten und Widerstände auszuhalten, und ich hatte bei vielen Dingen – SMV, Gewerkschaft, Flüchtlingshilfe – immer das Gefühl, etwas verändern zu können, verändert zu haben. Dies Gefühl habe ich beim ENC aber leider nicht mehr, und deshalb halte ich es mit Reinhold Niebuhr: „Ich wünsche mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“ Deswegen sage ich auch nicht einfach: „Mir worscht, Kopp runter und durch, ich schreibe einfach weiter stumpf ab“, sondern deshalb habe ich meine Entscheidung in puncto ENC getroffen. Ich werde wie routebleue eine lange Auszeit nehmen und vielleicht irgendwann später mal wieder reinschauen, ob sich hier Dinge zum Positiven verändert haben. Schreiben werde ich nichts mehr – ich hab heute wieder 10 Minuten gebraucht, um mich hier überhaupt anmelden zu können.
Es war mir eine Ehre, mit Euch zu segeln – die Möwe geht von Bord. Tschüss
Dear all, I recently unsubscribed from this project head over heels because I don’t want to continue working here under the current circumstances. But I would like to explain these circumstances again.
I have been involved in the ENC for 5 years now and have digitized countless cards, spent thousands of hours on the PC and hopefully contributed a little to coming to terms with the crimes of the Nazi regime. I have made many wonderful friends here and have often imagined how we all sit together in a large room and support each other in our work, encourage each other, be scared together and laugh together.
There were a lot of discussions in the volunteer team during this time, there were technical problems with the software, but these difficulties were actually always resolved. Several moderators from Arolsen were responsible for us, we had Zoom meetings to discuss news in the system, there was a lively exchange, and I really enjoyed being here, even if the work with people’s fates sometimes took me and others to the edge of what was bearable.
A major turning point was the departure from the old platform on Zooniverse and the move to the new project site. At the time, many of the long-time volunteers were already upset about the architecture of the platform, and some of the very hard-working ones signed off quite quickly. From the point of view of PR and attractiveness for younger people, the change to the ENC website was perhaps understandable - whether it was necessary remains to be seen. Personally, after a short break, I registered here and continued despite my unease and was not alone in doing so because the project was more important to us than our sensitivities.
But now I’ve reached a point where I don’t want to continue.
Firstly, I feel there are far too many technical problems. I’ve often commented on this, even though I don’t know much about IT. It’s simply no fun to work with a tool that is constantly causing problems, is incredibly complicated and possibly also doesn’t guarantee the necessary data security. Why should I eat soup with a knife? I’m aware that Arolsen’s resources are limited, but you can still test and optimize a tool before using it for such sensitive work as ours.
Secondly - and this is directly related - I don’t understand why Arolsen doesn’t address and test workflows with us volunteer “old hands” before countless newcomers are confronted with it. Their uncertainty is reflected in the last question posts about the “challenge”. I believe - and feel free to call me vain or megalomaniac - that the permanent team of volunteers, who often spend hours researching, clarifying fates and then writing here in the forum, have collectively acquired a great deal of expertise with regard to the documents we have already received. As you can read, we are happy to share this experience, and it is completely incomprehensible to me why you do not draw on this wonderful treasure trove of enthusiasm, skills and knowledge. I am sure that many would be happy to help optimize this platform in an online session.
Thirdly, I don’t understand the responsibilities for the ENC or find the moderation support lacking. As routebleue already wrote above, it is absolutely unfair to assign only one (!) person to this huge project. This is not against the current moderator, to be clear. There used to be more Arolsen! Where have all the people gone?
Fourthly and finally, I find these “challenges” inappropriate to the point of being embarrassing, to put it mildly. I also have a lot to do with history in my job, albeit over much longer periods of time. For me, it would be, no: it is a challenge to record documents and data as accurately as possible, even if this means their number is much smaller. In this case, I feel that quantity over quality is inappropriate and counterproductive. I don’t want to offend all the hard-working helpers, but how many of the edits from the last “Challenge” do you think are usable? How many cards, some of which even “the old hands” have been biting their teeth out over, have been digitized in such a way that you can use them? Who is going to process all this in how many hundreds of years?
So why don’t we all design a platform together that is easier to use, enables optimal exchange and still encourages people to keep going, without silly hearts and a reward system that is not commensurate with the seriousness of the matter? As a sailor and sportsman, I am used to enduring difficulties and resistance, and in many things - SMV, trade union, refugee aid - I always had the feeling that I could make a difference, that I had made a difference. Unfortunately, I no longer have this feeling at the ENC, which is why I agree with Reinhold Niebuhr: “I wish for the serenity to accept things that I cannot change, the courage to change things that I can change and the wisdom to distinguish one from the other.” That’s why I don’t just say: “I don’t care, I’ll just keep copying”, but that’s why I’ve made my decision regarding ENC. Like routebleue, I’m going to take a long break and maybe check back sometime later to see if things have changed for the better here. I won’t be writing anything more - it took me another 10 minutes to even log in here today.
It was an honor to sail with you - the seagull is leaving the ship. Goodbye